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Architekt Leopold Redlgestorben am 28. Januar 1989

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Nachruf für Poldl von Fritz Achleitner
Die Wirklichkeit ist durch die Sprache nicht einholbar und das Sprechen kann nur die Grenze markieren, die wir nicht überschreiten können. Wir reden also – oder einer macht es stellvertretend für die anderen.
Die verkommenen Rituale unseres Umgangs miteinander erlauben es offenbar nur mehr am Grabe Wahrhaftiges auszusprechen. An jedem anderen Ort wird es eine Spekulation, ja einer Lüge verdächtigt oder des Realitätsverlustes bezichtigt. Das was heute von Leopold Redl verbrannt wird, zwingt uns diesen Ort auf, mit dessen architektonscher Rhetorik er ein Leben lang gehadert hat.

Wir haben keine Orte, finden keine Situationen mehr, wo wir miteinander reden können, wo unser Wort eine Chance hat, aus dem Netz der Fehlinterpretationen und Verdächtigungen auszusteigen. Die Rituale, die es möglich machten, Freundschaft, Zuneigung, Wertschätzung oder Verehrung zu bezeugen, haben wir zurecht zerstört, denn sie sind zu peinlichen Inszenierungen ihres Gegenteils verkommen. Wir haben also wenig Chancen uns existentielle Dienste zu erweisen, uns lebenswichtige Signale zukommen zu lassen. Ich glaube, daß viele von Euch hier stehen die sich fragen, ob wir es hätten zulassen dürfen, daß ein geschätzter und geliebter Freund an dieser Welt, an dieser Stadt, also auch an uns verzweifelt.

Wenn vielleicht ein Ritual uns noch etwas zu geben vermag, dann ist es das der ausgesprochenen Erinnerung an einen Toten, die andere Erinnerungen wachruft und zur Mitteilung verhilft.

Für mich ist Poldl in den letzten Tagen durch die immer intensiver werdende Erinnerung neu in mein Denken getreten. Ich habe alles von ihm erreichbare gelesen, als wollte ich Versäumnisse an der Wahrnehmung seiner Existenz und seinem Denken nachholen. Vielleicht war es eine vergebliche Suche nach einer Erklärung.
Ich erinnere mich noch genau an den revolutionären Studenten Redl, gegen dessen Argumente man wenig Chancen hatte, und ahnte damals nicht, daß sich diese, in ihrer ganzen Totalität und Kompromisslosigkeit, auch gegen ihn richten könnten. Er hatte sich also selbst nicht ausgenommen. Ich habe erst viel später von seinem psychischen Zusammenbruch erfahren, als er bereits dabei war, die Fundamente für eine solide Arbeit als Planer, Stadtforscher und Städtebautheoretiker zu legen. Er war in seinem Beruf das, was man mit einem verstaubten Begriff eine natürliche Autorität nennt, also eine Paarung von Sachwissen und Hausverstand, von Über–und Durchblick; der Schweiger in den Diskussionen und Juries, der genau im richtigen Moment den Mund aufmachte, um das Problem auf den Punkt zu bringen. Er war ein Stadtplaner der nicht nur die unsichtbaren Prozesse glasklar zu analysieren vermochte, sondern der auch Augen hatte für die Sichtbarkeit des Unsichtbaren (um es mit einem Paradoxon auszudrücken). Er ging aber auch der faktischen Sichtbarkeit und ihren Inszenierungen nicht auf den Leim, er blieb der unbestechliche Diagnostiker ihrer ambivalenten Erscheinungsformen.
Ich erinnere mich an seine Berichte von der Baustelle, an die fast kindliche Freude am Schmäh oder am Spruch der Handwerker. Da war keine Spur von intellektuellem Hochmut im Spel, im Gegenteil, die Realität der Sprache spiegelte für ihn offenbar eine Professionalität wider, an der er fast neidisch partizipierte.
Wenn es einen Schlüsselbegriff für ihn gibt, dann ist es vielleicht jener der Professionalität, vom einfachen handwerklichen Handgriff bis zur kompliziertesten Analyse eines theoretischen Problems.
Ich denke an das Haus in der Aichhorngasse als die Darstellung einer Beziehungswelt, die nicht das Klischee von Familie reproduziert, jedoch die Realität der familiären Beziehungen respektiert. Dieses Haus ist genau genommen ein Manifest oder ein Psychogramm, das die Geschichte des Ortes (der eigenen Kindheit) und dessen tradierte Nutzung genauso akzeptiert, wie das gegenwärtige und künftige Leben. Ein Gehäuse, das Vorhandenes und Ergänztes, Verändertes und Neues, Zufälliges und präzise Geplantes in eine lebendige Beziehung bringt. Genaugenommen ein Modell von Stadt mit seinen Orten, Zuordnungen, gewollten und zufälligen Sichtkontakten.

Und wenn ich es nicht falsch sehe, ist es auch ein Modell der Arbeitswelt. Die wichtigsten Räume sind Arbeitsräume , Werkstätten und Ateliers. Die Mitglieder der Familie sind durch ihre Tätigkeiten präsent. Ein Gang durch das Haus war ein Gang durch eine Arbeitswelt.

Jede Einladung im Haus endete unweigerlich am Billardtisch, ein Monument an handwerklicher Schönheit und Solidität.. Hier herrschte zweifellos der Geist des Vaters. Vielleicht ist alles falsch, was ich behaupte, aber ich hatte hier immer das Gefühl einer Kulthandlung beizuwohnen. Hier wurde die gesellige Blödelei mit dem Weltgesetzen von Präzision und Zufall konfrontiert, die nur eine ruhige Hand und ein klares Kalkül beeinflussen konnten. Hier mußte man lernen was eine „Fettn“ ist, und Poldl demonstrierte nur das was der Vater viel besser konnte. Und er freute sich diebisch, wenn der Ferdl oder der Seppi den Erwachsenen was vorlegten.

Ich bitte um Verständnis, wenn ich an dieser Stelle nicht von dem Berufsmenschen Leopold Redl spreche, von dem Stadplaner von dem heute nur wenige eine Ahnung haben, was Wien wirklich verloren hat. Ich müsste auch hier im Namen der Hochschule für angewandte Kunst, vom ausgezeichneten und engagierten Lehrer sprechen, von dem die meisten Studenten noch nicht wissen, daß sie ihn verloren haben. Er hinterlässt auch im Vorstand der Österreischen Gesellschaft für Architektur, den er einmal als eine Art Heimat bezeichnete, eine unschließbare Lücke.
In seinem legendären Salzburger Vortrag findet man, im Zusammenhang mit der Zukunft der Stadt, folgende Stelle:
„Gesellt sich zum Vorhaben einer einmal besseren Zukunft wirtschaftliche, mentale Stagnation oder gar Depression, ist die Wende da: no future . Einmal als Überanpassung an Realität, das andere Mal als versuchter Ausstieg aus eben dieser.“
Wir wissen alle, daß Poldl kein angepaßter Mensch war, er war aber auch kein Aussteiger. Ich hatte immer den Eindruck, daß für ihn die Wirklichkeit, die Realität (also auch die der Stadt) eine existentielle Herausforderung darstellte. Er kannte keine Halbheiten. Obwohl er sich freizudenken, ja eine ironische Distanz zu den Tatbeständen zu sichern suchte, war er voller Bindungen. Allein schon die Art wie er von der Brigitte, den Buben, wie er vom Vater, der Mutter und vom Bruder sprach. Ich habe diesen scheinbar beiläufigen Ton, diese Mischung aus Respekt, Anerkennung und Liebe sonst nie bei jemanden gehört. Ich muß gestehen, für mich lag da der Schlüssel zu ihm, hier öffnete sich die Welt absoluten Vertrauens.

Poldl war kein Leistungsmensch, ihre Skalen hatten für ihn keine Bedeutung, aber er hatte einen untrügerische Sinn für das Maß an Entsprechung, jedes Problem schuf die Maßstäbe einer adäquaten Antwort. Das machte auch die Arbeit mit ihm zum Vergnügen, es entstand immer eine Art von Werkstattatmosphäre, er ging, um ein Klischee zu gebrauchen, in seiner Arbeit auf.
Diese existentielle Herausforderung Wirklichkeit wurde aber offenbar auch zur Bedrohung. Seiner wachen Wahrnehmung und wunden Sensibilität fehlte die Haut der Ignoranz und Abschirmung, seiner Intelligenz ein Filter der Verharmlosung oder Ästhetisierung der Dinge und Tatbestände.
Wie groß muß die Verzweiflung gewesen sein, ihnen nicht mehr mit vollem Einsatz entgegentreten zu können?

8.2. 1989